Verzicht auf Jugendpflege und Bolzplatz?

Verzicht auf Jugendpflege und Bolzplatz?

Lautertal ohne Bolzplätze, ohne Jugendförderung, ohne Seniorenbetreuung: So schwarz malte der Lautertaler Bürgermeister Jürgen Kaltwasser am Mittwochabend in der „Traube“ in Reichenbach die mögliche Zukunft der Gemeinde, sollte sie sich entschließen, unter den kommunalen Schutzschirm des Landes zu treten. Dafür, dass der Gemeinde ein Teil ihrer Millionenschulden abgenommen würde, müsste an allen Ecken und Enden gespart werden. Das Ziel: ein ausgeglichener Haushalt bis 2020. Beim Diskussionsabend der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik Hessen (SGK) unter dem Titel „Strategien im Umgang mit dem Schutzschirm“ wurden auch die Schattenseiten des „Kommunalen Entschuldungsfonds“ beleuchtet. Lautertal ist eine der 106  hessischen Kommunen, die als bedürftig eingestuft wurden und den Schutzschirm in Anspruch nehmen können. Eine erste Entscheidung darüber muss Ende Juni fallen. Die Schulden der Gemeinde belaufen sich auf rund zehn Millionen Euro ohne die kurzfristigen Kassenkredite, wie Kaltwasser berichtete. Das Land würde durch den Schutzschirm etwa fünf Millionen davon tilgen. „Die Leute sagen, das ist doch toll, die schenken euch fünf Millionen Euro“, schilderte der Rathauschef die Reaktionen der Bürger.

Sparmöglichkeiten fehlen

Im Gegenzug für die teilweise Schuldentilgung müsste die Gemeinde Lautertal aber schon im ersten Jahr 700   000 Euro konsolidieren, um dann Stück für Stück bis 2020 auch die verbleibenden Schulden loszuwerden. „Ein Schwimmbad, eine Volkshochschule oder ein Theater haben wir nicht“, zählte der Bürgermeister die gängigen Sparmöglichkeiten auf. Auch die Sportplätze seien längst in der Hand der Vereine. Man könne Spiel- und Bolzplätze schließen, so Kaltwasser weiter. Durch die Abschaffung freiwilliger Leistungen wie Jugendpflege, Drogenberatung und Seniorenbetreuung könnten rund 80 000 Euro im Jahr eingespart werden. Im Bereich der Pflichtleistungen sei hingegen nichts zu machen. „Auch beim Personal ist die Zitrone schon ausgepresst“, machte Kaltwasser deutlich.Gezwungenermaßen müsste also die Einnahmenseite verbessert werden. Doch auch da sieht der Bürgermeister wenig Potenzial: „Eine Verdoppelung der Grundstreuer würde uns zwar eine halbe Million Euro bringen, dafür wäre dies das politische Aus.“ Eine Erhöhung der Kindergartengebühren, um das Defizit bei den Betreuungsstätten zu verringern, hält er ebenfalls für ausgeschlossen. „Schon jetzt sind fünf Prozent der Lautertaler Kinder in Bensheim im Kindergarten“, erklärte er. Durch eine Gebührenerhöhung würde die Gemeinde noch mehr Kinder an Nachbarkommunen verlieren. Alles in allem, so schloss Kaltwasser, wäre es selbst unter größten Anstrengungen nicht möglich, die Sparvorgaben des Schutzschirms zu erfüllen.

Zur Erheiterung der rund 30 Anwesenden stellte er im Anschluss an den düsteren Ausblick einige Sparvorschläge aus dem Handbuch zur Haushaltskonsolidierung vor. Das Schriftwerk soll den Schutz-Schirm-Kommunen als Leitfaden für ihre Sparmaßnahmen dienen. „Da heißt es, man solle die Neujahrsempfänge mit anderen Kommunen zusammenlegen“, nannte er ein Beispiel. „Der Neujahrsempfang kostet uns im Jahr aber nur 200 Euro. Da kann man sich ausrechnen, wie oft wir den dann mit Bensheim oder Lindenfels zusammen ausrichten müssten.“ Aus dem Publikum tönte es spöttisch: „Dann können ja auch Bensheim und Hepprum zusammen Neujahrsempfang machen.“

Sorge um Infrastruktur

Trotz der kurzen Erheiterung blieb der Tenor des Abends ernst. „Es gibt keine reine Lehre im Umgang mit dem kommunalen Schutzschirm“, resümierte der SGK-Vorsitzende und Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises, Burkhard Albers. Jede Kommune müsse ganz individuell entscheiden, ob sie das Angebot der Landesregierung annehme. „Klar ist: Der Schutzschirm ist ein vergiftetes Geschenk, das die soziale Infrastruktur zerstört“, sagte Albers. Aus diesem Grund sei es wichtig, die Bürger in die Entscheidung mit einzubeziehen. „Wenn sich ein Gemeindevertreter beim Bäcker dafür rechtfertigen muss, dass das Schwimmbad geschlossen wurde, dann wird niemand mehr Kommunalpolitik machen wollen“, illustrierte Albers. „Das ist die große Gefahr dieses Schutzschirms.“


 

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