So viele Rüstungsexporte wie noch nie

 BA-Bericht, 4.11.

Das Thema Flüchtlinge ist in aller Munde. Doch warum verlassen Menschen ihr Heimatland? Zu den häufigen Gründen zählen Krieg, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen. Bei einem Vortrag in der Geschwister-Scholl-Schule ging es nicht um den Zustrom nach Deutschland, sondern um das, was nach draußen exportiert wird. Zum Beispiel Panzer, Gewehre und Raketen.

2015 dürfte für deutsche Rüstungsexporte zum Rekordjahr werden: Die bewilligten Ausfuhren lagen bereits im ersten Halbjahr annähernd so hoch wie im gesamten Vorjahr. Das geht aus einem Zwischenbericht der Bundesregierung hervor. Bis Ende Juni wurden Waffenexporte in Höhe von 3,5 Milliarden Euro genehmigt. Im gesamten Jahr 2014 waren es fast vier Milliarden Euro. Vor allem die Lieferungen nach Saudi-Arabien sorgen für heftige Kritik. Aber auch Länder wie Syrien, Irak und Russland stehen auf der Empfängerliste.

Mehr Kontrollen und Transparenz
Kai Hüwelmeyer von Amnesty International (AI) fordert eine verbindliche Klausel im deutschen Gesetz. Nur so könne das Risiko reduziert werden, dass als Folge des Exports Menschenrechte verletzt werden. Außerdem plädiert er für mehr Kontrollen und mehr Transparenz bei gefährlichen Deals, die sowohl dem Bundestag wie auch der Zivilgesellschaft öffentlich gemacht werden müssten.

Auf Einladung von Lehrerin Regine Jochmann-Munder sprach Hüwelmeyer im Forum vor über einhundert Oberstufenschülern im letzten Jahr vor dem Abitur. Der 30-jährige Frankfurter vom AI-Arbeitskreis Rüstung und Menschenrechte betonte: Wer die Welt mit Waffen beliefert, darf sich über Flüchtlinge nicht wundern. Seit Jahrzehnten setze sich die weltweit agierende Nicht-Regierungsorganisation dafür ein, den globalen Handel mit Rüstungsgütern schärfer zu kontrollieren.
Am 24. Dezember 2014 trat nach mehr als zwei Jahrzehnten harter Verhandlungen und der erforderlichen Ratifikation durch 50 Länder der Waffenhandelsvertrag „Arms Trade Treaty“ in Kraft – ein völkerrechtliches Regelwerk, das Exporte verbietet, wenn sie zu Völkerrechtsverstößen und Kriegsverbrechen beitragen. Ein Weihnachtsgeschenk für Rüstungsgegner. Für manche eine Mogelpackung.
Denn nach wie vor gibt es keine Sanktionen für Länder, die gegen den multilateralen Vertrag verstoßen. Das Thema Lizenzvergaben wird in der Resolution nicht geregelt. Nach wie vor haben Großmächte wie die USA, China oder Russland den ATT nicht ratifiziert – und damit noch nicht rechtskräftig gemacht. 154 Mitgliedstaaten haben dem Abkommen aus dem Jahr 2013 bislang zugestimmt, 24 enthielten sich der Stimme. Iran, Nordkorea und Syrien votierten dagegen.
„Es geht jetzt um die Umsetzung“, betont Kai Hüwelmeyer in Bensheim. Das heißt: Der ATT müsse in die nationale Gesetzgebung der jeweiligen Länder integriert werden. Bis es soweit ist, könnte es noch dauern. Denn der weltweite Waffenhandel ist nicht nur ein explosives, sondern auch ein lukratives Geschäft. Und dazu ein äußerst komplexer Markt, wie der Amnesty-Mann erläutert. Deutschland ist hinter USA, Russland und China jüngst von Platz drei auf Platz vier der „Big Six“ gerutscht – der international größten Exporteure von Großwaffen. Der Rüstungsmarkt ist ein schwankender, doch die „großen Sechs“ sind seit Jahren die gleichen. Doch neben Panzern und Kriegsschiffen sind es vor allem kleine und leichte Waffen, die auf der Welt sehr gefragt sind. Einige Hersteller sitzen in Deutschland.
Zum Beispiel Heckler & Koch. Produzent des Schnellfeuergewehrs G 36. Standardausrüstung der Bundeswehr. Weltweit beliebt auch bei fragwürdigen Regimes. 2011 waren diese Gewehre in Gaddafis Palast in Libyen aufgetaucht. Offiziell hatte die Bundesrepublik nichts geliefert. Experten vermuten einen dunklen Kanal im internationalen Waffenschmuggel.
Als Folterwerkzeuge genutzt
Doch neben Schusswaffen sind es auch Lizenzproduktionen und nicht-tödliche Waffen wie Reizgase und Elektroschocker, mit denen gegen Menschenrechte verstoßen wird. „Diese Dinge werden häufig als Folterwerkzeuge eingesetzt“, so Hüwelmeyer, der von einem kaum kontrollierbaren Schwarzmarkt und dicken Schlupflöchern im Onlinehandel spricht.
Amnesty International plädiert für einen gesetzlich verankerten Menschenrechtsbezug. Sowohl im Kriegswaffenkontrollgesetz wie auch im Außenwirtschaftsgesetz käme dieser nicht vor. Lediglich auf politischer Ebene kommen menschenrechtliche Prinzipien als Leitlinie vor. „Die ist aber leider nicht einklagbar“, so Hüwelmeyer am Montag in der Geschwister-Scholl-Schule. Rüstungshandel sei ein globaler Markt und müsse daher auch global reguliert werden. Es bedürfe einheitlicher Regeln, die für alle gelten.
Die erste Vertragsstaatenkonferenz zum ATT-Abkommen im August in Mexiko hatte sich nicht auf uneingeschränkte Transparenz bei Rüstungslieferungen einigen können. Die Forderung, dass die Regierungen sämtliche relevanten Daten von Rüstungslieferungen offenlegen müssen, war unter anderen von Deutschland abgelehnt worden. Bis Mai 2016 soll eine Einigung erzielt werden. Kai Hüwelmeyer weiß: „Ohne Druck von unten tut sich nichts!“ tr

 

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